Blut gegen Freiheit
Damals, bei der Bundeswehr, in der norddeutschen Tiefebene. Die Vorgesetzten von uns Wehrdienstleistenden waren ein Traum. Allerdings kein schöner: Bildung? Fehlanzeige. Menschenkenntnis? Wat is dat denn? Untergebene schikanieren? Aber gerne. Bei anderen Kompanien kamen kleine Bagger, um schicke Schützengräben auszuheben - wir erledigten das auch kurz vor dem Ablauf unserer 15-monatigen Fron noch mit dem Klappspaten. Wir waren auch die vermutlich einzige Kompanie, in der fast jede Woche irgendjemandem die Heimfahrt verweigert wurde, weil Decke und Kissen nicht rechtwinklig auf dem Bett lagen oder der Spind unordentlich war. Mehrere unserer "Kameraden" - wie wir uns nennen sollten - bekamen ernsthafte psychische Probleme: Einer stand nachts zur Schlafenszeit vor der Waffenkammer, um sich ein Gewehr und scharfe Munition geben zu lassen. Ein anderer putzte jeden Freitag, bevor unsere Stuben kontrolliert wurden, den Fußboden mit der Zahnbürste, weil er solche Angst hatte, am Wochenende in der Kaserne bleiben zu müssen. Und noch ein anderer schlug den typischen Bundeswehrweg ein und begann zu trinken. Nicht nur ein wenig, sondern richtig. Jeden Abend, 15 verdammte Monate lang. Warum? Die Offiziere und Unteroffiziere hassten ihn wegen seiner Intelligenz und Schlagfertigkeit und ließen keine Gelegenheit aus, ihn zu schikanieren und am Wochenende nicht nach Hause zu lassen.

Eines Tages hieß es, wir erhielten einen Tag Sonderurlaub, wenn wir Blut spendeten. Fast alle meldeten sich - denn was sind schon 500 Milliliter Blut gegen 24 Stunden Freiheit? Auch der junge Mann mit dem Alkoholproblem meldete sich, wurde aber beim Warten auf das Abzapfen ungewöhnlich nervös. Er hatte Angst vor dem Blutspenden und zitterte schon beim Gedanken daran, dass man ihm in wenigen Minuten eine Nadel in den Arm stecken würde. Bis zuletzt schwankte er, ob er wirklich spenden solle - aber es war zu verlockend, einen Tag mit seiner Freundin statt mit Feldwebel "Ihre-Stiefel-sind-dreckig-Sie-bleiben-am-Wochenende-hier!" zu verbringen. Wir waren gleichzeitig an der Reihe und legten uns jeweils auf ein Feldbett, um die Sanis an unseren Lebenssaft zu lassen. Ich und ein anderer "Kamerad" redeten beruhigend auf den Unbedingt-nach-Hause-Wollenden ein, der ängstlich und steif, verkrampft und zitternd da lag. Mein Blutbeutel war kurz vorm Überlaufen, seiner hing nahezu leer herunter. Ein Arzt bemerkte es und fragte, ob er wirklich spenden wolle, das scheine ja keinen Sinn zu haben, da das Blut nur spärlich aus dem angespannten Körper tröpfele.

Doch der Rekrut hielt durch und ließ sich die Kanüle nicht wieder abnehmen. Anderthalb Stunden blockierte er das Feldbett, bis ihn der Arzt endlich erlöste: "Das reicht, ich bestätige Ihnen, dass Sie gespendet haben. Sie bekommen Ihren Urlaub." Der ehedem fröhliche Abiturient, der zum sich selbst folternden Soldaten geworden war, strahlte uns, die wir auf ihn gewartet hatten, an, stand auf - und brach sofort ohnmächtig zusammen.

Inspiriert von Bosch

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bosch, Donnerstag, 24. Mai 2007, 18:33
Na ja, die Bundeswehr ist doch dazu da, dass man abgehärtet wird, oder? Ausbildungsziel erreicht - und das sogar mit einem guten Zweck verbunden. Das ist ja bei Y-Tours auch nicht immer selbstverständlich.

kreuzberger, Donnerstag, 24. Mai 2007, 19:08
So habe ich das noch gar nicht gesehen. Verdammt - warum habe ich mich damals nicht verpflichtet. Dann wäre ich jetzt vielleicht ein richtig harter Hund...