Der Mann und ich
Vor Jahren hatte ich ihn mit nach Hause genommen, es dann aber immer wieder aufgeschoben, meinen ach so berühmten Freund näher kennenzulernen. Immer wieder dachte ich: "Eines Tages kommt bestimmt der richtige Moment. Denn man braucht ja Zeit und Muße, um sich ganz auf ihn und seine Bedeutung einzulassen." Vor kurzem war es dann endlich soweit: Ich packte ihn mit festem Griff und schon wenige Augenblicke später las ich in ihm wie in einem offenen Buch. Aber was heißt hier "wie"? Es war ja ein offenes Buch, genauer: Thomas Manns "Zauberberg", vor dessen Lektüre ich mich lange gedrückt hatte, da das Buch ja - genau wie der "Ulysses" - so ein wichtiges Werk der Weltliteratur ist, das man sicher nur in besonderen Momenten voller Ruhe lesen und verstehen kann. Pffft - so ein Quatsch, es ist doch nur ein Buch, vor dem man nicht in Ehrfurcht erstarren muss. Und die ersten rund 50 Seiten lassen bzw. lasen sich schon mal gut an, auch wenn der Zauberberg mich noch nicht so in seinen Bann schlägt wie andere Werke, die ich nur aus der Hand gelegt habe, wenn es absolut notwendig war.

Kommentieren




mark793, Dienstag, 22. Juli 2008, 12:39
Der Zauber
wirkt nicht unbedingt sofort. Anfangs dachte ich auch "najaaaaa, ganz nett". Wo genau es umschlug, dass mich das Werk in seinem Bann hatte, könnte ich jetzt im Rückblick gar nicht mehr sagen. Es ist vielleicht ein bisschen wie bei einer Fernsehserie, mit deren Plot und Charakteren man anfangs noch etwas fremdelt, und ganz schleichend hat man irgendwann das Gefühl, die gehören alle zur Familie, und man will wissen, wie es weitergeht, ob sich noch was entwickelt mit der guten Madame Chauchat.

In diesem Sinne würde ich sagen: Bleiben Sie dran und schalten Sie auch morgen wieder ein...

kreuzberger, Dienstag, 22. Juli 2008, 13:53
Vielleicht
bin ich einfach noch nicht weit genug in den Berg vorgedrungen. Zurzeit führt Mann all die Figuren, Orte, Themen etc. ein, wobei meine Vorahnung mir sagt, die eigentliche Handlung gehe vermutlich bald los. Ich hoffe, mir geht es wie Ihnen und der Sog nimmt stetig zu. Denn sonst kann Lesen auch leicht zur Qual werden, wie ich bei Faust 2 erfahren durfte.

Ich hoffe übrigens, dass die Gralshüter der deutschen Literatur Ihnen den schönen Vergleich des Zauberbergs mit einer TV-Serie nicht allzu übelnehmen.

mark793, Mittwoch, 23. Juli 2008, 02:33
Akut
würde mich das nicht (mehr) scheren. Aber ich gestehe, dass im Studium mein Hang zu interdisziplinären Analogieschlüssen über die Tellerränder der Fakultäten und Fachschaften hinweg nicht bei jedem Dozenten Wohlwollen erntete. Beim Verteidigen ihrer jeweiligen Schubladenwände standen die Politologen den Literaturwissenschaftlern und Linguisten übrigens in nichts nach...

kreuzberger, Mittwoch, 23. Juli 2008, 12:12
Da bin ich froh,
Kommunikation an einer Kunstuni studiert zu haben. Der ganze Studiengang war interdisziplinär und wir wurden von den meisten Dozenten - bis auf einige dogmatische Ausnahmen - dazu ermuntert, nicht in Schubladen zu denken, sondern unsere Gedanken schweifen zu lassen. Ungewöhnliche Analogien, Vergleiche und Wortspiele waren dabei ausdrücklich erwünscht.