Dahin gehen, wo es weh tut
Die Geschichte da drüben bei Kalli hat mir gerade die schmerzhafte Erinnerung an eine gebrochene Nase und einen brutalen HNO-Arzt ins Gedächtnis gerufen. Als ich noch in der norddeutschen Provinz wohnte, vertrat ich einmal sechs Wochen lang meinen Vater in seinem Betrieb. Unter anderem brachte ich mit einem kleinen LKW Hefe, Öl, Fett, Baisers, kleingehäckselte Äpfel für Apfelkuchen, Sauce Hollandaise und vieles andere mehr zu Bäckereien, Restaurants, Imbissen und Schiffen.

Durch unglückliche Umstände - stürmisches Aprilwetter, Hand am Autoradio, plötzliche Bö von der Seite, morastiger Seitenstreifen mit mindestens einem Baum - zerlegte ich den Wagen, die Ware und mich. Wie genau das geschah, kann ich nicht mehr ganz nachvollziehen. Ich weiß nur noch, wie ich mit knapp 90 durch den Matsch neben der Landstraße fuhr und hektisch aber erfolglos versuchte zu lenken und zu bremsen. Dann sah ich einen Baum in Zeitlupe auf mich zukommen und - rummms. Während der Wagen sich um den Baum wickelte, verteilte sich die gesamte Ware im Cockpit und auf mir. Die Apfelstücke à la Hollandaise ließen die Sanis dann wenig später fragen, ob ich in Kartoffelsalat gebadet habe.

Mein Gesicht war komplett zugeschwollen und die Hornhaut meines rechten Auges war gerissen, weshalb ich im Krankenhaus mehrere Tage lang nicht aufstehen durfte. Nachdem ich das erste Mal wieder selbst geduscht hatte, fiel mein Blick im Spiegel auf mein nur noch leicht verformtes blaugrünes Gesicht. Zweifel begannen an mir zu nagen: War meine Nase nicht vor dem Unfall einen Hauch gerader? Abends stellte ich diese Frage einem Kindergartenfreund. Die Antwort: minutenlanges schallendes Gelächter - und die Bestätigung, dass meine Nase jetzt ja wohl völlig krumm und schief sei. Zum Glück für uns beide endete die Besuchszeit kurze Zeit später.

Nächster Morgen, beim HNO-Arzt: "Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Ihre Nase vor dem Unfall gerade war?" Nachdem ich bejahte, stellte er mir die alternativen Behandlungswege vor: "Der Bruch ist neun Tage her, da ist das Nasenbein schon fast wieder zusammengewachsen. Ich kann Sie operieren, das wäre aber kompliziert und im Nachhinein ziemlich schmerzhaft. Alternativ kann ich Ihnen die Nase aber auch sofort zurückbrechen, was ich Ihnen empfehlen würde, da es dann schneller geht." Jung und naiv, wie ich war, hörte ich auf den vermeintlichen Fachmann. Der stellte sich daraufhin sofort vor mir auf und murmelte einen Euphemismus à la: "Das könnte jetzt etwas weh tun." Mit beiden Daumen und ohne Betäubung brach er dann meine Nase zurück und jagte mich in eine dumpf pochende, tränenreiche Hölle, die mir meinen restlichen Krankenhausaufenthalt versüßte.

Kommentieren




lennyundkarl, Dienstag, 20. März 2007, 10:19
Das war doch keine Arzt. Das war Hannibal Lecter als Arzt verkleidet.

kreuzberger, Dienstag, 20. März 2007, 10:58
Vielleicht war mein HNO-Arzt ja das Vorbild für den beliebten Kannibalen.

, Dienstag, 20. März 2007, 14:40
Und? Sitzt sie jetzt gerade oder noch schiefer seit damals? ;o)

Kalli

kreuzberger, Dienstag, 20. März 2007, 15:31
Wieso noch schiefer? Ich habe seither - wie vor dem Unfall - eine gerade Nase mit Charakter. :-)

, Dienstag, 20. März 2007, 16:08
Hallo Fettnapf!
Meine Ausdrucksweise war etwas unglücklich aber nicht so gemeint wie verstanden. Ich wollte nicht andeuten, dass die Nase vor dem Unfall auch schon schief saß (das kann ich ja in Anbetracht der Unwissenheit über Dein Aussehen sowieso nicht behaupten), aber Du schriebst doch von dem Freund, der im Krankenhaus den Winkel der Nase begutachtete und dann zu diesem Schluß kam. Ich meinte also die Zeitspanne zwischen Unfall und "Richtungs"-Bruch. ;o)
Kalli

kreuzberger, Dienstag, 20. März 2007, 16:30
Keine Sorge,
ich hatte das schon so verstanden, wie Du es gemeint hast. Mir waren nur gerade die Ironiesmilies ausgegangen. :-)

"schriebst" ist übrigens ein Wort, das leider viel zu selten geschrieben wird.

, Dienstag, 20. März 2007, 17:51
*kleinlaut* Ist das Zwiebelfisch-Deutsch? Kalli

kreuzberger, Dienstag, 20. März 2007, 18:00
Ist alles tutti. Es ist nur so, dass die meisten Leute mittlerweile "Du hast geschrieben" schreiben und nicht mehr "Du schriebst". Und da freute ich mich einfach über das Wiedersehen mit einem vom Aussterben bedrohten Wort. :-)